Assembly Galerie
Bazar Poznański
Paderewskiegostraße 8
61-770 Posen, Polen
Vernissage:
2 Juni 2017
Uhrzeit: 19:00
Polnisches Noir von Piotr Kotlicki
Wie es in einem der Wörterbücher aus dem Gebiet des Filmstudiums angegeben wurde, ist „film noir“ (deutsches Äquivalent ist entweder „schwarzer Film“ oder „schwarzes Kino“) eine besondere Art vom amerikanischen Thrillerfilm, der in den 1940er und in der ersten Hälfte der 1950er Jahre entstand, in dem die Elemente des Gangsterkinos und die Detektivmotive erscheinen und es oft die Fragen nach der männlichen Identität gestellt werden. Es ist auch „visueller Stil“, der die Eindrücke von Angst und Unruhe schafft. Er drückt einen tiefen Pessimismus der Kultur aus, indem er ein besonderes Kontrastlicht und ein Spiel von Schatten benutzt.1
Die noir Malerei ist eine nicht existierende Figur. Um die grauenvollen Szenen in der Geschichte der Gattung zu nennen, haben wir doch wenigstens den Termin „nokturn“ (ein Bild, das die Nachtszene darstellt) oder den Termin „Stimmung“, der eine von Künstler der Münchener Schule gemalte stimmungsvolle Genreszene bedeutet, die sich durch das Übergewicht des braunen und grauen Farbtons auszeichnet.2 Aber die Verwendung der Bezeichnung aus dem Filmbereich zur Beschreibung der Bilder von Piotr Kotlicki – einen Maler, Filmautor, Absolventen der Akademie der Künste in Lodz und seit 2007 Hochschullehrer der Regie-Fakultät in der Nationalen Film-, Fernseh- und Theaterhochschule in Lodz, scheint eine gewissermaßen berechtigte Maßnahme zu sein.
Jedoch nicht deswegen, dass seine Bilder zu kinematografischen Effekten neigen. Ganz im Gegenteil –sie stecken beharrlich im Rahmen der künstlerischen Mittel, die für die Malerei typisch sind. Den Künstlern, die die Grenzen zwischen den mit dem Bild arbeitenden Kunstarten aufheben, zum Trotz betont Kotlicki diese eher traditionelle Identität der Malerei. Er tut das, indem er geduldig die Lasur legt, die Faktur baut, sich mit einer Farbe beschmiert, vielleicht sogar ein bisschen utopisch auf die Konkurrenzfähigkeit der Malerei in der Post-Medien-Epoche setzt, in der die Malerei einen geringen Einfluss auf die Umwandlung der kollektiven Vorstellungskraft hat. Das Gefühl, dass die Verwendung des Filmbegriffs im Malereigebiet berechtigt ist, ist eher mit dem auf Zuschauer durch Kotlickis Bilder ausgeübten psychologischen Effekt verbunden. Kotlicki stellt beunruhigende, die gesellschaftliche Harmonie zerstörende Szenen dar, die die Perversion, die Gewalt oder sogar das Verbrechen andeuten. Die Malerei liefert ihm die Mittel für das Schöpfen von kompensatorischen Strukturen, die in einer ziemlich düsteren gesellschaftlichen Beobachtung verwurzelt sind.3 Das Spielidiom von Kotlicki ist aber nicht deutlich. Den Künstler interessiert das Verwickeln der gemalten Figuren in unbekannte, eher destruktive Handlungen und das Erzählen von unklarer, aber Grauen erregender Fabel. Die überwiegend männlichen Figuren haben häufig keine Gesichtszüge, aber tragen bestimmte Kleidung: ein T-shirt, einen Jogginganzug und Sportschuhe. Sie sind weder voll anonyme Täter unbekannter Taten, noch präzise definierte Subkulturvertreter. Die in der Fantasie des Künstlers schwirrenden Szenen, die vielleicht das lokale Leben in einem der Wohnblocks in Lodz, wo der Künstler zurzeit wohnt und arbeitet, spiegeln incognito manche Aspekte der gegenwartigen nationalen Krise wieder. Indem der Maler sie auf den Bildern bearbeitet, hat er an der Erschaffung von einem Diskurs zum Thema eines dunklen Innenlebens, von ihm erlebter Affekte und Spannungen teil.
Das Motiv der Krise taucht übrigens in der Feststellung von Kotlicki auf, die sich auf sein Verständnis von dem Kunstprozess bezieht. „Damit das Bild eine Vorstellung, auf die ich warte, wird – sagt er- im Entstehungsakt muss auch das Zerstören existieren. Mein Ziel ist eine wackelige Einheit.4 Dieses Ziel erreicht der Künstler durch den Verzicht auf die volle Kontrolle und, indem er seine Ahnungslosigkeit und eine Art der Besessenheit zu Worte kommen lässt, die den Vorstellungen nicht erlaubt, lesbaren Vertretungen einer komplexen, entzweiten und egalitären Subjektivität des Schöpfers als einen Teilnehmer des gesellschaftlichen Lebens zu werden. Die Adaptation der Gattungseigenschaften des Noir-Kinos für die Malerei des Künstlers aus Lodz, die auch ein Anachronismus ist– also eine Modalität, die die Realitäten aus verschiedenen Zeiten zusammenstellt, zeigt undeutliche Gesichter des zeitgenössischen Terrors, wie bei Wojciech Smarzowski, indem sie den Zuschauern etwas über die Verhaltensdimension der Existenz in gegenwartigem Polen zeigt. Wobei scheint die relative Abstraktheit der von Kotlicki gemalten Szenen, pessimistische geschichtliche Bedingungen, in denen sie entstehen, zu überschreiten und wiederum die Puppen-Willenlosigkeit und die Gleichförmigkeit der gegenwartigen Helden zu betonen.
Ewelina Jarosz
1 Siehe Schlagwort „film noir“ in: Cinema Studies. The Key Concepts, second edition, ed. S. Hayward, Routledge, London and New York 1999, S. 128-133.
2 Siehe: A. Melbechowska-Luty, Widoki nocy w malarstwie polskim (Nachtsansichten in der polnischen Malerei), Wydawnictwo Arkady 1990.
3 Eine interessante Forschungsperspektive, die den Film Noir und die Malerei zusammen sieht, hat Michael Leja vorgeschlagen. Siehe: Idem, Reframing Abstract Expressionism. Subjectivity and Painting in the 1940s, Yale University Press, New Haven and London 1993.
4 Das Zitat stammt aus der mir von einer Kuratorin Katarzyna Kucharska zur Verfügung gestellten Materialien über Piotr Kotlicki.